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"Gefährliche Fremde?"

Fremdheitskonstruktionen und kriminelles Verhalten: Interview mit Teresa Maria Brand zum Thema ihrer prämierten Abschlussarbeit im Bachelorstudiengang Soziale Arbeit

Teresa Maria Brand hat für ihre Bachelorarbeit in diesem Semester den Förderpreis der Hochschulgesellschaft forum sociale e.V. der Katholischen Hochschule Mainz erhalten.

(Bilder: KH Mainz)

Teresa Maria Brand hat in diesem Semester den Förderpreis der Hochschulgesellschaft forum sociale e.V. der Katholischen Hochschule Mainz erhalten. Ihre Bachelorarbeit im Studiengang Soziale Arbeit trägt den Titel: „Gefährliche Fremde?“ – Eine Untersuchung über den Zusammenhang von Fremdheitskonstruktionen und kriminellem Verhalten männlicher Jugendlicher mit Migrationshintergrund . Im Interview erzählt sie, warum die Wahl auf dieses Thema viel, was Fremdheit so faszinierend macht und welche Lösungswege es für eine gelingende Integration geben könnte.

Was war ausschlaggebend für Ihre Themenwahl und was interessiert Sie persönlich besonders an der Auseinandersetzung mit dem Thema „Fremdheit und Gewalt“?

Einerseits bin ich durch meinen Schwerpunkt Integration und Migration im Bachelorstudiengang bereits zu Beginn meines Studiums mit den Themen Fremdheit, Einwanderung etc. und auch mit den in meiner Arbeit beschriebenen Theorien zu Fremdheitskonstruktionen in Verbindung gekommen. Andererseits wurde ich während meines Anerkennungspraktikums, das ich in der Schulsozialarbeit durchgeführt habe, immer wieder mit dem Fremdheitsgefühl der Kinder und ihrer damit einhergehenden Benachteiligung konfrontiert, da die meisten Schüler/-innen Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund waren.

Persönlich interessiert hat mich an dieser Thematik vor allem, inwieweit die in den Medien dargestellte Gewaltaffinität, besonders bei männlichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund, durch die kriminologische und soziologische Forschung bestätigt wird oder eben nicht.

Sie haben sich in Ihrer Arbeit zunächst mit verschiedenen wissenschaftlichen Konstruktionen von Fremdheit befasst. Wie würden Sie in Ihren Worten Fremdheit beschreiben?

Für mich persönlich ist Fremdheit ein faszinierendes Phänomen, das eine ambivalente Wirkung auf Menschen haben kann. Einerseits empfinden viele Menschen eine große Faszination für das Unbekannte und genießen es, in fremde Länder zu reisen und neue Kulturen kennenzulernen. Diese Erfahrungen erweitern unseren Horizont und bereichern unser Leben, das heißt in dieser Hinsicht werten wir das Fremde als etwas Positives. Gleichzeitig kann das Gefühl der Fremdheit, wenn wir uns an einem unbekannten Ort, in einer fremden Umgebung oder in einer uns unangenehmen Situation befinden, negativ wahrgenommen werden. Es kann verunsichern und den Menschen aus seiner Komfortzone herausreißen. In solchen Situationen fühlt man sich möglicherweise isoliert oder unwohl.

Diese Ambivalenz von Fremdheit zeigt, dass es wichtig ist, offen für neue Erfahrungen zu sein, aber auch die eigenen Grenzen zu respektieren. Es ist normal, sich in einer fremden Umgebung zunächst unsicher zu fühlen. Doch mit der Zeit und der Bereitschaft, sich zu öffnen und zu lernen, können wir uns in der Fremdheit zurechtfinden und neue Perspektiven gewinnen. Insgesamt ist die Ambivalenz von Fremdheit ein natürlicher Bestandteil des menschlichen Lebens. Es liegt an uns, diese Ambivalenz zu erkennen und sie als Chance zur persönlichen Entwicklung und zum interkulturellen Verständnis zu nutzen.

Wie sind Sie wissenschaftlich vorgegangen, um eine Antwort auf die Frage nach dem Zusammenhang von Fremdheit und dem Enstehen von Gewalt zu finden? Und zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?

Ausgangspunkt meiner Arbeit war die mediale Darstellung von männlichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund als einer Gruppe, die zu kriminellem und aggressivem Verhalten neigt. Ziel meines anschließenden Forschungsstandes war es herauszufinden, ob sich dieses Bild des "Gefährlichen Fremden" in der kriminologischen und soziologischen Forschung bestätigen lässt oder nicht. Ergebnis war, dass die Forschungsstudien der Soziologie und Kriminologie dieses mediale Bild insgesamt nicht bestätigen können, ihm zum Teil sogar widersprechen.

Als nächster Schritt wurden anhand der drei Fremdheitskonstruktionen von Simmel, Elias/Scotson und Bauman drei verschiedene Kategorien herausgefiltert, die konstitutiv für die Konstruktion von Fremdheit sind - erstens die eigene Identitätsbildung durch Abgrenzung vom Fremden, zweitens Etikettierung und Stigmatisierung des Fremden und drittens Ambivalenz des Fremden. Im Folgenden wurden diese vergleichbaren Kategorien konkret auf die Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund bezogen. Dabei wurde anhand von Interviewaussagen, Beiträgen und Experimenten, die ich der wissenschaftlichen Literatur entnommen habe, deutlich, dass die Jugendlichen genau diese Kategorien in ihrem Lebensalltag erfahren und erleben.

Im Anschluss wurde dann der Bezug zur Gewalt-Thematik hergestellt: Aus den Interviewauszügen, den Beiträgen und auch aus dem theoretischen Teil meiner Arbeit wurde deutlich, dass Ausgrenzung, Etikettierung, Stigmatisierung und Kampf um Machtpositionen Kennzeichen solcher Fremdheitskonstruktionen sind. Werden Jugendliche der zweiten und dritten Generation in ihrem Lebensalltag immer wieder mit Fremdheitskonstruktionen und den beschriebenen Kennzeichen konfrontiert, kann dies zu permanenter und extremer Frustration führen, die dann in Gewalt umschlagen kann. Werden gesteckte Ziele aufgrund der Fremdheitskonstruktionen durch die Mehrheitsgesellschaft nicht erreicht und bleiben Erwartungen immer wieder unerfüllt, suchen sich Jugendliche auch Gewalt als Ausweg aus solchen Situationen. Diese Verhaltensmechanismen werden in der Anomietheorie beschrieben, die in der wissenschaftlichen Literatur als ein Erklärungsversuch für das Entstehen von Gewalt gilt. Danach beruht Straffälligkeit auf dem Missverhältnis zwischen allgemein gesellschaftlich akzeptierten Zielen und den zur Verfügung stehenden begrenzten Mitteln, zum Beispiel niedriges Bildungsniveau, Arbeitslosigkeit etc. Diese Diskrepanz von Zielen und Möglichkeiten kann Frustration erzeugen und Jugendliche dazu verleiten, „innovative“, also auch gewaltsame Wege zu beschreiten.

Insgesamt bestätigen die verschiedenen Erläuterungen in meiner Arbeit demnach die These, dass zwischen Fremdheitskonstruktionen und Gewalt ein Zusammenhang besteht. Fremdheitskonstruktionen durch die Wissenschaft haben Einfluss auf den medialen und gesellschaftlichen Diskurs und damit auch auf die Lebenswelt der Zielgruppe. Sie können zudem zu aggressivem und gewaltbereitem Verhalten beitragen.

Haben Sie ein konkretes Beispiel, wie Fremdheitskonstruktionen die gesellschaftliche Wahrnehmung bzw. den Diskurs beeinflussen und sich damit letztlich auf das Leben von Jugendlichen mit Migrationshintergrund auswirken können?

Es gibt einige Beispiele in meiner Arbeit, die das Zusammenspiel von wissenschaftlichem und medialem Diskurs aufzeigen. Ein Beispiel: In einer Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung aus dem Jahr 2009 („Ungenutzte Potenziale zur Lage der Integration in Deutschland“) wurden Menschen mit türkischem Migrationshintergrund als vermeintlich integrationsunwillig problematisiert. Der SPIEGEL titelte kurz darauf in seiner Ausgabe vom 26.01.2009: „Für immer fremd“.

Ein weiteres Beispiel: 2010 erläuterte Christian Pfeiffer, Vorsitzender des kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN), in einer Studie, dass muslimische Jungen umso stärker zu Gewalt neigen würden, je mehr sie sich mit der Religion verbunden fühlten. Auch dies griff der mediale Diskurs sofort auf, so titelte SPIEGEL Online daraufhin am 05.06.2010: „Jung, muslimisch, brutal“.

Das heißt also, die Wissenschaftler*innen besitzen eine entscheidende Deutungs- und Definitionsmacht, da ihr Wissen in vulgarisierter Form wieder in den allgemeinen Diskurskreislauf eingespeist wird. Damit tragen sie eine besondere Verantwortung.

Welche Lösungsansätze sehen Sie, um den Zusammenhang von Fremdheit und Gewalt zu entkoppeln und damit zu gelingender Integration beizutragen?

In meiner Arbeit habe ich zwei mögliche Lösungswege untersucht. Zunächst hat sich die Frage gestellt, inwiefern die Fremdheitskonstruktionen von Simmel, Elias/Scotson und Bauman mitunter selbst eine Lösung bieten. Dabei hat sich jedoch herausgestellt, dass es relativ schwierig ist Lösungsansätze in diesen Fremdheitskonstruktionen zu finden, die die Trennung zwischen dem Wir und den Anderen sowie die beschriebenen Mechanismen der Ausgrenzung, Etikettierung und Stigmatisierung überwinden.

Der einzige Lösungsansatz liegt in der Ambivalenz des Fremden, von der vor allem Georg Simmel und Zygmunt Bauman sprechen. Demnach sei der Fremde eben nicht nur der Außenseiter, der Furcht erregt, sondern er besitze gerade durch sein Fremd-Sein eine gewisse Attraktivität. Somit liegen die Chancen der Ambivalenz des Fremden in seiner Objektivität, in seinem innovativen Potenzial und in seiner Rolle als Impulsgeber des sozialen Wandels, da er in der Lage ist die Gesellschaft von außen, aus einer Vogelperspektive heraus zu betrachten.

Ein weiteren Lösungsansatz stellt der postmigrantische Ansatz dar. Dabei geht es um eine Abkehr vom bisherigen konventionellen Blick auf Migration und Gesellschaft und das Einnehmen einer neuen, auf der Lebenswirklichkeit der Migranten basierenden Perspektive. Zusammenfassend geht es im postmigrantischen Ansatz vor allem darum, dass sich die Kinder und Jugendlichen der zweiten und dritten Generation nicht mehr passiv in eine Opferrolle drängen lassen, sondern auf innovativem Weg eigene Gegenbilder und ein neues Selbstbewusstsein schaffen.

Zum Schluss noch zwei persönliche Fragen: Wie geht es für Sie nach dem Abschluss an der KH Mainz weiter und wie wird Sie das Thema Ihrer Arbeit weiterhin begleiten ?

Die Bewerbung um den Förderpreis liegt nun bereits ein Jahr zurück. In der Zwischenzeit habe ich meinen Masterabschluss an der Katholischen Hochschule Mainz im Studiengang Soziale Arbeit-Beratung und Case Management absolviert. Parallel dazu habe ich eine Weiterbildung als Case Managerin am Institut für Fort- und Weiterbildung der KH Mainz gemacht. Nun bin ich seit Oktober diesen Jahres exmatrikuliert und hoffe bald in das Berufsleben einsteigen zu können.

Das Thema meiner Bachelorarbeit wird mich sicherlich in der Zukunft immer wieder begleiten. Fremdethnisierung durch eine Mehrheitsgesellschaft, Diskriminierung, Stigmatisierung etc. sind alles Aspekte, die in vielen Bereichen der Sozialen Arbeit eine Rolle spielen und mit denen sich leider viele unserer Zielgruppen konfrontiert sehen.